Der Belgische Schäferhund

Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden die Schafherden in Europa vor allem durch den Hirten und nicht von den Hunden gehütet; die Hunde hielt der Schäfer zum Schutze gegen Raubtiere und Diebsgesindel, nicht aber zum Hüten und Treiben der Herde. Diese grossen und starken Hunde, etwa auch "Schafrüden" genannt, wurden, wie eine Skulptur am Dome zu Magdeburg zeigt, zum Schutze des Wildes und vermutlich auch zum Schutze der Schafe, vom Hirten an einer Kette oder an einem Seil geführt und durften nur zum Verfolgen eines Raubtieres oder eines Schafdiebes freigelassen werden.
Das änderte sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts, als 1648 mit dem Westfälischen Frieden der Schlussstein unter den Dreissigjährigen Krieg gesetzt wurde. Die allgemeine Sicherheit in Europa nahm zu, die plündernden Kriegerhorden verschwanden, verschwunden waren aber auch die Schafräuber Wolf und Bär; Ackerbau und Schafhaltung nahmen zu. Die grossen Schafrüden, übrigens arge Fresser - Joh. Kohler schreibt in seiner "Oeconomia ruralis et domestica" "Ein Schäfer hat oft 14 oder 15 (Hunde), fressen ein ganzes Pferd auf einmal auf" - wurden überflüssig.
Beckmann (1895) schildert uns diesen Umschwung recht blumig:
"Mit der Ausrottung der grossen Raubtiere und der zunehmenden Sicherheit des Eigentums sehen wir im Laufe der Zeit überall die grossen, wehrhaften Schafrüden sammt ihren breiten Stachelhalsbändern verschwinden, und der Schäfer, welcher früher die Schalmei oder den Dudelsack blasend an der Spitze seiner Herde mit dem angeketteten Hunde marschirte, steht nunmehr behaglich auf seinen langen Stab gelehnt und beschränkt sich darauf, seinen allzeit aufmerksamen, flüchtigen Hunde durch bestimmten Zuruf, Pfiff oder Wink die nöthigen Befehle zu erteilen".
"Flüchtige Hunde", das ist das Stichwort für die nun aufkommenden Schäferhunde, die das weidende Vieh von den Kulturen fern zu halten hatten und somit unermüdlich auf den Läufen sein mussten. So treten nun in Deutschland, Belgien und Holland die Schäferhunde, in Frankreich die Chiens de berger, in Italien der Cane da pastore und in der Schweiz das "Triberli" auf. Dabei trennten sich wohl schon recht früh, durch den Gebrauchszweck bestimmt, zwei verschiedene Stämme, einerseits die stumm hütenden Schäferhunde und andererseits die bei der Arbeit laut bellenden Treibhunde.
Ein Schäferhund führt kein bequemes Leben, so wenig wie sein Herr. So "behaglich auf seinen Stab gelehnt", wie Beckmann uns den Schäfer schildert, verrichtet er sein Tagwerk nicht. Hund und Herr müssen Kälte und Nässe ertragen können, und ihre Kost ist meist recht dürftig. Dabei ist die Arbeit äusserst vielseitig und erfordert vom Hund ein grosses Mass an Selbständigkeit.
Zieht die Herde, so muss der Hund dafür sorgen, dass alle Nachzügler dicht aufschliessen und dass niemand aus der Herde ausbricht und eigene Wege geht. Der Hund muss deshalb oft und ständig die Seite wechseln, dabei darf er aber keineswegs den kürzesten Weg nehmen, sondern muss stets hinten herum laufen. Er legt dabei pro Tag viele Kilometer zurück, auch wenn die Herde nur eine kurze Strecke weiterzieht. Weidet die Herde, so darf sie der Hund nicht stören. Er muss jedoch stets bereit sein, auf ein kurzes Kommando des Schäfers einzugreifen, wenn die Herde plötzlich auf ein Feld mit Saat einbrechen sollte. Er darf aber die ruhig weidenden Schafe nicht durch sein Gebell beunruhigen oder gar vorwärts drängen. Will jedoch der Schäfer weiter, so muss der Hund auf seinen Befehl die Herde sammeln und vorwärts treiben. Der Hund muss sich also bei den Schafen den nötigen Respekt verschaffen, er darf jedoch nicht zubeissen und ein Schaf durch einen Biss beschädigen. Erlaubt ist nur ein Kneifen in die Hinterläufe. Ist ein Hund zu "weich", so merken das die Schafe sofort, und sie setzen sich mit harten Vorderhufschlägen wirkungsvoll zur Wehr. Die heutige Winterszeit die Schweiz durchziehenden Wanderschäfer, meistens sind es Leute aus den Bergamasker Bergen, haben selten einen reinrassigen Hund bei sich. Und dennoch sind es keineswegs Zufallsprodukte, die sie da mit sich führen, sondern Hunde, die einer strengen Zuchtauslese über Generationen entstammen. Auf das Äussere wird freilich kein Wert gelegt, ausschlaggebend ist einzig und allein die Gebrauchstüchtigkeit Die Auslese ist dementsprechend hart.
So mag es auch zu Beginn der Schäferhundezucht gewesen sein, und das mag auch der Grund sein, warum sich alle Schäferhunderassen Mitteleuropas mehr oder weniger ähnlich sind. Der Gebrauch bestimmte die Form. Beckmann sagt das sehr treffend: "Als die grossen Hirten- und Hetzhunde zum Schutze der Herden überflüssig wurden, wählte man für die veränderte Dienstleistung des Schäferhundes überall unter der Masse der rascheren Landhunde solche Exemplare aus, deren äussere Erscheinung eine besondere Befähigung für jenen besonderen Zweck in Aussicht stellte. Es waren dies zunächst und ausschliesslich jene spitzohrigen und spitz- oder wolfsschnauzigen Hundeformen, welche an die Wildhunde erinnern. Bewährte sich die Wahl solcher Exemplare für den dienst des Schäferhundes, so suchte man dieselben mit ähnlichen Typen zu paaren. Das ist der primitive Weg aller Rassenzüchtung."
Diese "primitive Rassenzüchtung" erklärt die grosse Ähnlichkeit zwischen einem Berger Beauce aus Frankreich und einem Deutschen, Belgischen oder Holländischen Schäferhund, oder die auffallende Ähnlichkeit zwischen einem Berger des Pyrénées und einem friesischen Schapendoes.

Die Belgischen Schäferhunde
Vor 1891 sprach niemand von Belgischen Schäferhunden. Der bekannten Kynologe, Collie- und Windhundzüchter Vandenbeele, der sich intensiv mit der Rassenhundezucht beschäftigt hat, weiss nichts von einer solchen Rasse. Strebel erwähnt sie nur ganz beiläufig.
Der Belgische Schäferhund war vor 1891 der Arbeitshund der Bauern und Schäfer, äusserlich uneinheitlich in Farbe und Haarart, charakterlich und anatomisch aber geprägt von der Arbeit, die er zu leisten hatte. Der Vergleich mit den Verhältnissen in der Schweiz drängt sich auf. Auch hier sprach vor 1890 niemand von Schweizer Sennenhunden. Sie waren zwar da, galten jedoch nicht als Rasse und waren es auch nicht.
Über den Beginn der Reinzucht berichtet uns Beckmann (1895): "Im Jahre 1891 bildete sich in Brüssel auf Anregung mehrerer Freunde der Schäferhunde ein Verein zur Reinzüchtung der dortigen Schäferhunden unter dem Titel "Club du Chien de berger belge", welcher seit seinem ersten Auftreten bis jetzt von der Société Royale Saint Hubert kräftig unterstützt worden ist und daher bereits sehr anerkennenswerte Erfolge erzielt hat. Die erste Tätigkeit des Vereins bestand darin, eine grosse Anzahl (117) von Schäferhunden der verschiedenen belgischen Provinzen unter Zustimmung des Ministers des Ackerbaues in der Veterinärschule zu Cureghem zu versammeln, um dort die Rassezeichen aufzustellen. Man unterscheidete: Langhaarig, Harthaarig,Kurzhaarig. Die Ohren stehen aufrecht bei allen drei belgischen Formen. Die Farbe schwarz, dunkelgrau, braun geflammt mit oder ohne dunkelgelbe Abzeichen, auch trüb weissgrau. Die Schulterhöhe durchschnittlich 55 cm.
Die unter dem Namen "Berjot" oder "Vieux Berjot" in den Ardennen vorkommende zottige Form soll von eingeführten französischen Chiens de Brie stammen.
Initiant der "Heerschau" der Schäferhunde in Curegheim war Prof. Reul vom tierärztlichen Institut.
Unter den vorgeführten 117 Hunden waren die langhaarigen hauptsächlich schwarz, seltener braun oder wildfarbig, die rauhhaarigen ("ähnlich wie unser Rattler", sagt Beckmann) waren grau und die kurzhaarigen (nach Beckmann hatten sie eine Halskrause) waren braun oder beige mit dunkler Maske. Vierzig Hunde wurden als zur Weiterzucht tauglich ausgeschieden, darunter sieben schwarze mit Langhaar.
Reul empfahl, nur noch Hunde der gleichen Haarart untereinander zu paaren, und zwar ungeachtet ihrer Farbe.
Nach der Gründung des Klubs (1895) erlaubte man nur noch die Farben schwarz für Langhaarige, rotbraun für die Kurzhaarigen und grau für die Rauhhaarigen. Damit schied eine grosse Anzahl an sich guter Hunde von der Zucht aus, und deren Besitzer gründeten einen eigenen Klub.
Die Änderung des Standards bewirkte dann wiederum den Zusammenschluss der beiden Klubs und fortan wurden die Belgischen Schäferhunde in den folgenden Varietäten gezüchtet: schwarz, langhaarig: Groenendael rotbraun, langhaarig: Tervueren rotbraun, kurzhaarig: Malinois grau oder rotbraun, rauhaarig: Laekenois. Bereits nach 15 Jahren zeigten sich die Erfolge der züchterischen Bemühungen. Aus den rasselosen Bauernhunden waren elegante Rassehunde geworden, die aber ihre Qualitäten als Arbeitshunde beibehalten hatten.
Der Erste Weltkrieg mit der Besetzung Belgiens durch die Deutschen brachte die hoffnungsvoll begonnene Zucht der Belgischen Schäferhunde fast völlig zum Erliegen.
Um die noch vorhandenen Zuchttiere optimal auszunützen, beschloss der Klub 1920 eine Lockerung der Farbentrennung und anerkannte auch auch wieder Mischfarben unter der Bezeichnung "Andersfarbig"; ebenso wurden Kreuzungen zwischen verschiedenfarbigen Hunden der gleichen Haarart und Kreuzungen zwischen Kurzhaar und Rauhhaar gestattet.
Die Zucht erholte sich und ab 1930 kamen wieder vermehrt gute "Belgier" zu den Ausstellungen.
Der zweite Weltkrieg brachte eine ähnliche Situation wie der Krieg von 1914-1918. So erlaubte man auch 1945 wiederum die bereits 1920 gestatteten Mischlingswürfe. Diese freizügigen Zuchtbestimmungen wurden 1973 aufgehoben, die Kreuzungen zwischen den Haar- und Farbvarietäten verboten und das vierte CACIB (Anwartschaft auf den Titel eines internationalen Schönheits-Champions) für die sogenannten "Andersfarbigen" wurde wieder aufgehoben.
Die ersten "Belgier" in der Schweiz
Der erste Groenendael mit dem Namen "Ménélik" wurde 1908 in Band XI des SHSB eingetragen; es vergingen aber noch dreizehn Jahre, bis dann 1921 der erste Wurf in Delsberg fiel.
Die erste Tervureneintragung finden wir in Band 25 mit der Hündin "Dora" (Masson), "fauve charbonné, Abstammung und Züchter unbekannt". In Band 27 folgten dann der Rüde "Max" und der von Dr. Masson gezüchtete "Dandy", der jedoch im Alter von zwei Jahren einging.
Der erste Malinois kam bereits 1909 in die Schweiz. Es war der Rüde "Roc"; die erste Eintragung ins SHSB finden wir jedoch erst im Band 47 mit dem Rüden Umanouc. Der erste Wurf fiel 1955 in Bulle.
Die ersten Laekenois wurden 1951 ins SHSB eingetragen, es waren die Rüden Yoro und Yvan; der erste Wurf fiel 1966 in Payerne.
Im Jahre 1942 wurde in Lausanne der Schweizerische Groenendael Klub gegründet; die ersten Mitglieder waren alle in der welschen Schweiz beheimatet. Die Umbenennung in Schweizer Klub für Belgische Schäferhunde erfolgte an der Generalversammlung 1945.

Quelle (SKBS Schweizerischer Klub des Belgischen Schäferhundes)